Merken Sie sich diese Frau

Alles, was Sie oben im Bild sehen, ist erfunden. Die Kandidatin, die Stadt, die Tageszeitung, das Labskaus, einfach alles. Die Frau, die dort auf dem Titelblatt fröhlich ein Pappschild gen Himmel reckt, heißt Friederike Dostermann und ist frisch gewählte Bürgermeisterin der fiktiven, norddeutschen Kleinstadt Heisterfeld. Inzwischen dürfte Frau Dostermann das Lächeln jedoch vergangen sein: Frisch im Amt und schon rüttelt der erste Skandal an der parteilosen Politikerin. Medienberichten zufolge soll Dostermann Mitarbeiter ihrer Kampagne ausspioniert und mit vertraulichen Informationen unter Druck gesetzt haben. Soweit das Szenario, auf dessen Basis ich heute gemeinsam mit Grundkurs-Studierenden des BA-Politikwissenschaft ein Experiment durchgeführt habe. Ich wollte wissen, wie Menschen Politiker Bewerten, wenn für eine objektive Bewertung nur wenig Information vorhanden ist und welchen Einfluss die Präsenz in sozialen Medien auf ebenjene Bewertung hat.

Zunächst noch ein paar Worte zum Hintergrund: Im Zuge einer umfangreichen Laborstudie zur Wirkung von Social Media auf Wahlentscheidungen habe ich die Persona „Friederike Dostermann“ entwickelt. Und die dazugehörige norddeutsche Kleinstadt Heisterfeld gleich mit. Die Ergebnisse dieser Studie befinden sich in den letzten Zügen der Auswertung und werden zeitnah veröffentlicht. In der Zwischenzeit nutze ich die Gelegenheit, „Friederike Dostermann“ und die dazugehörigen Bilder, Social Media Posts etc. in weiteren Versuchen einzusetzen.

Der Aufbau des heutigen Experiments ist schnell erklärt: Die Studierenden (N=22) wurden zunächst in zwei gleich große Gruppen aufgeteilt. Die Teilnehmer beider Gruppen erhielten dann einen Din-A4 Zettel mit Informationen über Friederike Dostermann. Beide Gruppen saßen sich gegenüber. Es war den Gruppen also nicht möglich zu sehen, ob und wie sich die Informationen auf dem Zettel zwischen den Gruppen voneinander unterschieden.
Gruppe A erhielt einen Screenshot des Instagram-Accounts @f_dostermann, sowie den Auszug eines Posts anlässlich des Kampagnen Kick-Offs. Gruppe B erhielt die Titelseite der Tageszeitung „Heisterfelder Bote“, die den Kampagnen Kick-Off von Friederike Dostermann zum Inhalt hatte. Das Bild der Kandidatin und der dazugehörige Text waren also in beiden Gruppen nahezu identisch. Gruppe A sah über den Screenshot des Instagram-Accounts zusätzlich zwei weitere Bilder der Kandidatin, allerdings ohne Begleittext. Die Handreichungen sind hier zu sehen:

Zur Anmoderation von Friederike Dostermann und zur Erläuterung des Szenarios für das Experiment habe ich zusätzlich das Bild eines Werbeflyern zum Kampagnen Kick-Off an die Wand des Seminarraums für alle sichtbar projiziert. Daraufhin erhielten die TeilnehmerInnen folgende Information:

„Die Person auf dem Bild hinter mir ist Friederike Dostermann. Frau Dostermann ist parteilos und hat sich erfolgreich als Kandidatin für das Amt der Bürgermeisterin in der fiktiven Kleinstadt Heisterfeld beworben. Auf dem Zettel vor Ihnen finden Sie weitere Informationen über Frau Dostermann. Friederike Dostermann wurde gewählt und ist nun seit wenigen Tagen als Bürgermeisterin im Amt. Ihr Amtsantritt wird bereits durch einen Skandal überschattet: Medienberichten zufolge soll Dostermann Mitarbeiter ihrer Kampagne ausspioniert und mit vertraulichen Informationen unter Druck gesetzt haben.
Bitte notieren Sie Ihre Zustimmung zu Frau Dostermann mit einem Wert zwischen 0 und 100.
Bitte geben Sie Frau Dostermann in der Kategorie „Vertrauen“ außerdem eine Schulnote zwischen 1 und 6 (1= Sehr gut, 6=ungenügend).“

Die Ergebnisse sind bemerkenswert. In beiden Dimensionen, also sowohl im Zustimmungswert, als auch in der Schulnote für „Vertrauen„, bewertet Gruppe A (Instagram) Friederike Dostermann signifikant (α = 0.025) besser, als Gruppe B (Zeitungsartikel).
Im Durchschnitt erhielt Dostermann von Gruppe A 20% höhere Zustimmungswerte und in Sachen „Vertrauen“ die Schulnote 4 gegenüber der Schulnote 5 von Gruppe B:

Group AGroup B
#approvalgradeapprovalgrade
1404106
2504305
3605405
4603156
5683205
6673604
740556
8203454
9385106
10455106
1126255
44,55424,555

Alles nur Zufall? Das galt es herauszufinden. Unter Anwendung einer Varianzanalyse (ANOVA) lässt sich (vereinfacht ausgedrückt) prüfen, ob es sich bei den beobachteten Mittelwerten um Zufallsprodukte oder statistisch signifikante Unterschieden zwischen den Populationen handelt. Auskunft darüber gibt der sog. F-Wert/F-statistic. Übersteigt der F-Wert einen in Abhängigkeit zu den Freiheitsgraden stehenden Grenzwert, spricht man von einem statistisch signifikanten Effekt.

Für unser Beispiel lag dieser Grenzwert bei entsprechenden 1/20 Freiheitsgraden für das niedrigste Signifikanzniveau α=0.1 bei 2.97465, für α=0.05 bei 4.3512, für α=0.025 bei 5.8715 sowie für α=0.01 bei 8.096. Je größer der Effekt, desto größer also der notwendige F-Wert. Anbei nun die F-Werte für die Mittelwertsunterschiede in den Dimensionen Zustimmung (approval) und Vertrauen (trust).

approvaltrust
F-statistic (Instagram)6.17***7.35***
R20.23580.2687
F-Statistic ANOVA: Instagram vs Newspaper treatment

Die vorliegenden Werte sind interessant. Es besteht kaum Zweifel daran, dass die beobachteten Unterschiede in der Bewertung zwischen den Gruppen auf das unterschiedliche Treatment zurückzuführen sind. Eine ergänzende OLS-Regression für beide Dimensionen verstärkt diesen Eindruck: Sowohl approval (p=0.022)als auch trust (p=0.013) weisen hohe Signifikanzniveaus auf.

Bleibt die (entscheidende) Frage nach dem „Warum„: Warum sollten Menschen PoltikerInnen anders bzw. wohlwollender bewerten, wenn bekannt ist, dass der oder die entsprechende Politikerin in den sozialen Medien vertreten ist? Ohne diese Frage an dieser Stelle hinreichend tief beantworten zu können, verstärkt das beschriebene Ergebnis den gewonnen Eindruck eines möglichen Effekts zwischen Social Media Nutzung durch politische Akteure und die Wahlbereitschaft- und Handlung von Individuen. Das Ergebnis ist kohärent mit theoretischen Ableitung aus der Dual-System Theory wonach unter Eindruck steigender kognitiver Reize der Anteil affektiver Entscheidungen steigt.

Im Kontext des oben beschriebenen Szenarios übersetzt sich eine Social Media Präsenz folglich in größeres Wohlwollen. Angesichts der geringen Information über die Kandidatin, ihre Positionen und die Bedeutung der (fiktiven) Wahl, war der Spin, welcher durch den Verweis auf den Vertrauens-Skandal gesetzt wurde, sehr kraftvoll. Dennoch bewertete die Instagram-Gruppe Friederike Dostermann signifikant besser. Gegebenenfalls genügt bereits das Wissen um die Existenz eines Instagram-Accounts und die damit suggerierte Nahbarkeit, um angesichts negativer Presse größeres Wohlwollen an den Tag zu legen.

Disclaimer: Das heute durchgeführte Experiment war eher „quick & dirty“ und diente der Erläuterung politikwissenschaftlicher Methoden in der Lehre. Die Ergebnisse stimmen jedoch grundsätzlich mit unter Laborbedingungen durchgeführten Versuchen überein. Die entsprechenden Ergebnisse werden zeitnah veröffentlicht.

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