31 Tage / Alles auf Scholz?
Es gibt ein geflügeltes Wort, wonach politische Kandidaten aus dem Effeff die Antwort auf zwei Fragen beherrschen müssen: Warum du? Warum jetzt? Die Antwort auf diese Fragen transportiert in der Regel die Quintessenz jeder politischen Ambition. Alle, die ein politisch Mandat anstrebt, müssen diese Fragen beantworten können. Andernfalls kann die kohärente und vor allem glaubwürdige Vermittlung der eigenen Standpunkte eigentlich nicht gelingen.
Insofern ist es plausibel, wenn Lars Klingbeil bei der Vorstellung des neuen TV-Spots und der 2. Plakatwelle heute im Willy-Brandt-Haus sagt, die Kampagne würde Person, Programm und Partei verbinden. Dabei stets im Zentrum: Olaf Scholz. Scholz sei der Kanzler für „stabile Renten, bezahlbares Wohnen, Klimaschutz und sichere Arbeit“. So fasst Klingbeil bei der Präsentation im Atrium des Willy-Brandt-Hauses, dem „Maschinenraum der Kampagne“ den Spin der Selbigen zusammen.
Der Spot schlägt einen inhaltlichen Bogen von Helmut Schmidts Amtseid hin zur politischen Mensch-Werdung des SPD Spitzenkandidaten Olaf Scholz. Das ist insofern clever, als dass somit nicht nur die Wirkung sozialdemokratischer Politik aus der einstigen Blütezeit in die Gegenwart transportiert wird. Vielmehr klammert dieser Bogen zahlreichen Themen aus, die ebenfalls unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung entschieden wurden, jedoch in der Retrospektive weniger Empathie versprechen.
Der Spot versucht sich dabei nicht nur an einem Rückblick auf die politischen Meilensteine im Leben von Olaf Scholz, sondern entwirft eine in die Zukunft gerichtete Aussage bezüglich der persönlichen Eignung des SPD-Kandidaten für das Bundeskanzleramt. Die von Klingbeil genannte Fokussierung auf den Kandidaten, sie wird durch den Spot in maximaler Konsequenz umgesetzt. Letzteres zeigt sich auch daran, dass – mit Ausnahme von Malu Dreyer – eigentlich kein derzeit führender Sozialdemokrat im Clip zu sehen ist. Für Beobachter der politischen Positionierung einer SPD im Spannungsfeld Scholz/Esken/Walter-Borjans eine nicht ganz unwichtige Randnotiz.
Verantwortung – Vertrauen – Wumms?
Ein Voice-Over benennt im Spot biografische Highlights im politischen Leben des Kandidaten und stellt konkrete politische Entscheidungen in den Vordergrund. Die vereinzelten Schnitte zwischen historischem Material und aktuellen Bildern des Kandidaten sollen dabei wahrscheinlich Kontinuität vermitteln, mutiger wird die gestalterische Inszenierung des Hanseaten Scholz im weiteren Clip kaum.
Dem Spot gelingt es so einen Politiker zu Inszenieren, der in der Öffentlichkeit bisher mit allem von sich Reden gemacht hat, nicht aber mit einem besonders schnittigen Image. Getreu dem Motto „It’s not a bug, it’s a feature“ wendet sich Scholz zum Ende und Klimax des Videos dann direkt in unaufgeregtem Ton an die Zuschauerinnen und Zuschauer:
„Dafür bitte ich um ihre Stimme. Eine Stimme für eine gute Zukunft. Und darum möchte ich unserem Land als Kanzler dienen.“
Ein Menschenfischer ist und bleibt Scholz nicht. Gleichwohl gelingt es der Kampagne, die extrem trockene Art des Kandidaten so in Szene zu setzen, dass die unterschwellige Botschaft rüberkommt: Olaf Scholz als der kompetente Kandidat für die politische Führung in Deutschland. Show, don’t tell im besten Sinne. Insofern ist es dann auch kein Zufall, wenn der Kandidat selbst zum Video twittert: “ Darum will ich diesem Land als Kanzler dienen„. So schreibt nur jemand, der um die Fragilität der derzeitigen Position weiß.
Für die SPD kommt dieser Spot gleichwohl zur bestmöglichen Zeit. Erste Umfragen sehen die einst abgeschlagenen Sozialdemokraten gleichauf mit der CDU oder einen Punkt vor. Scholz‘ Popularitätswerte steigen. Dass beides wohl auch maßgeblich auf die Fehler der anderen Parteien und deren Kandidaten-Teams zurückzuführen ist, mag in der Betrachtung zutreffen. Einen Unterschied macht es für das Zwischenergebnis jedoch kaum: Sollten die Sozialdemokraten weiterhin erfolgreich Fehler vermeiden, kann so etwas wie Momentum entstehen. Auf der anderen Seite: Bis zum Wahltag sind es noch 31 Tage, also eine halbe Ewigkeit.