T-4 Wochen, T+20 Tage

Heute in genau vier Wochen ist Bundestagswahl. Wenn am 24.09. um 18 Uhr deutschlandweit die Wahllokale schließen, schlägt für Campaigner und Strategen die Stunde der Wahrheit.
Aber: Abgerechnet wird im Ziel und bis dahin kann noch viel passieren.
Vor uns liegt nun also die heiße Phase des letzten analogen Wahlkampfes in der Geschichte der Bundesrepublik. Hinter diesem Blog liegen die ersten 20 Tage des Sammelns und Auswertens von 12 Instagram Kanälen. Es könnte also kaum einen passenderen Zeitpunkt für ein Statusupdate geben. Und los!

Ein steter Tropfen höhlt den Stein – aber entscheidet er auch Wahlen? 

Aus den täglich erhobenen Instagram-Werten habe ich zwei Datensätze erstellt. Einen Panel-Datensatz für statistische Analysen und eine schlankere Version zur deskriptiven Analyse der offensichtlichen Parameter „Follower“, „Posts pro Tag“ und „Wachstum“. Im Influencer-Marketing errechnen Dienstleister und Agenturen aus diesen drei Kennzahlen den monetären Wert von Influencer-Profilen. Doch lässt sich dieser Ansatz auf den politischen Mehrwert von Instagram-Profilen übertragen? Dieser Frage soll in den nächsten 2-3 Beiträgen nachgegangen werden, beginnend mit der Betrachtung der absoluten Follower-Zahlen und dem Wachstum der Kanäle. Darüber hinaus werde ich untersuchen, wie das Wachstum mit dem Nutzungsverhalten zusammenhängt.

Die ersten Grafiken zeigen die absoluten Follower-Zahlen der 12 Politiker am 23.08.: Im Sinne einer bessere Übersicht fehlt dem rechten Balkendiagramm das Profil von Angela Merkel.

Was sofort auffällt ist die Übermacht an Reichweite, welche dem Profil der Bundeskanzlerin entspringt. Angela Merkel erreicht mit ihren Beiträgen theoretisch um ein vielfaches mehr Menschen, als all ihre politischen Freunde und Wettbewerber  zusammen. Theoretisch zum einen, weil nicht klar ist, hinter wie vielen der rund 350.000 Followern tatsächlich echte Menschen stecken, und bei wie vielen es sich um Fake-Accounts handelt. Des weiteren hängt die Wirkungskraft des Profils auch davon ab, wie regelmäßig der Account genutzt wird. Doch dazu im nächsten Beitrag mehr.

Digitaler Amstbonus?

Es ist zunächst naheliegend, den dramatischen Vorsprung Angela Merkels auf ihren Amtsbonus zurückzuführen. Nach 12 Jahren Kanzlerschaft verfügt Angela Merkel über hohe Popularität und Bekanntheitswerte. Dies wird sich positiv auf die Nutzerdurchdringung bei Instagram auswirken. Ein weiterer Grund für die Größe des Accounts könnte darin liegen, dass die Bundeskanzlerin im Vergleich zu anderen Spitzenpolitikern sich relativ früh für eine Präsenz auf Instagram entschieden hat.

Das Profil der Bundeskanzlerin ging am 03.06.2015 online. Das sind Stand heute folglich 812 Tage, die auf das Instagram Konto der Bundeskanzlerin gehen. Entsprechend ihrer derzeit 351.220 Follower (Stand 18:30 Uhr) ergibt dies einen durchschnittlichen Zuwachs von ca. 433 Followern pro Tag, was wiederum einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 0,13% entspricht. An guten Tagen, wie etwa nach dem Auftritt Angela Merkels beim Youtube-Format #DeineWahl am 17.08.2017, wächst der Kanal um rund 2.000 Personen oder 0,58%, doch dazu gleich mehr.

Vor dem Hintergrund, dass Instagram bereits 2010 online ging, und dass Angela Merkel zu besagtem Zeitpunkt bereits seit 5 Jahren Kanzlerin war, wird ebenfalls deutlich, wie viel Potential in der Wähleransprache durch den Einstieg zum Jahr 2015 verloren gegangen ist – der Account hätte heute sicher um ein Vielfaches mehr Follower, wäre der Wert von Instagram im Kommunikationsportfolio früher erkannt worden.

Diese Beobachtung gilt dabei analog für fast alle Parteien: Im August 2017 vermeldete Instagram 15 Millionen monatlich aktive Nutzer in Deutschland. 15.000.000 Nutzer sind im Idealfall 15.000.000 potentielle (junge) Wähler. Selbst Nutzer, die zur Bundestagswahl 2017 noch nicht wahlberechtigt sind, können über die App politisch sozialisiert werden. Vor diesem Hintergrund sind die absoluten Follower-Zahlen erstaunlich, geben sie doch Aufschluss darüber, welchen strategischen Nutzen die Parteien dem Kanal mit Hinblick auf die Bundestagswahl eingeräumt haben.

Hervorzuheben ist an dieser Stelle das Profil von FDP Spitzenkandidat Christian Lindner. Der älteste Beitrag des Profils ist vom 10. Februar 2016. Inzwischen verfügt Lindner mit seinen rund 29.000 Followern über den zweitgrößten Account im Panel der Spitzenkandidaten, Generalsekretäre und Sprecher.
Ähnliches gilt für Martin Schulz, dessen Profil ab Mai 2014 brach lag und mit der Nominierung zum Kanzlerkandidaten der SPD eine Reaktivierung und damit einen deutlichen Anstieg in Likes und Kommentaren, also Interaktionen verzeichnet.

Bei der Betrachtung der Wachstumsrate der Profile über die letzten 20 Tage fällt des Weiteren auf, dass die kleinen Profile unter 1.000 Follower am stärksten wachsen. Das erscheint logisch, wenn wir steigende Grenzkosten bei steigender Follower-Anzahl annehmen. Im Durchschnitt wachsen die Profile der beobachteten Politiker über die letzten 20 Tage um 0,54% pro Tag.

Wachstum nach 20 Tagen_neu

Wie aussagekräftig ist nun diese Betrachtung? Was sagt das Wachstum des Kanals über den Nutzwert eines politischen Instagram-Profils aus? Im Influencer-Marketing gehört die Wachstumsrate zu den entscheidenden Metrics in der Bewertung von Influencern.

Verfügt der Kanal über ein gesundes Wachstum investieren Marken in die Kanäle, um über die gekaufte Reichweite die BrandAwareness, Share of Voice o.Ä. zu steigern. Das Wachstum ist dabei ein Indikator für die Popularität des Influencers, ähnlich des Kurses einer Aktie.

Was ist nun der Gegenwert eines politischen Influencers? Share of Voice? BrandAwareness? Oder zahlt das Wachstum eines Kanals eher auf Zuversicht, Wählerdurchdringung und Überzeugungskraft ein? Wäre dem so, könnte ein kausaler Zusammenhang zwischen der Wachstumsrate des Kanals und dem prognostizierten Wahlergebnis bestehen. Gewiss wäre hier die alleinige Betrachtung von Instagram wohl nicht ausreichend, um diesen Effekt einwandfrei nachzuweisen. Interessant ist der Gedanke trotzdem.

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