Die Ästhetisierung von Politik

Früher galt: Zum Regieren reichen Bild, BamS und Glotze. Politische Kommunikation heute ist vielschichtiger, persönlicher und komplexer. Welche Rolle Influencer heute dabei spielen und was der mediale Wandel für die Politik bedeutet:

Um ein Massenpublikum anzusprechen, brauchte es bis vor wenigen Jahren eines der drei folgenden Dinge: Einen Radiosender, einen Fernsehsender oder eine Zeitung. Entsprechend hierarchisch aufgebaut war der gesellschaftliche und politische Diskurs. Oben diejenigen, die Teil der Berichterstattung waren, unten diejenigen, die sich dafür interessierten. Und in der Mitte diejenigen, die in Redaktionskonferenzen darüber entschieden, was berichtenswert war und folglich Aufmerksamkeit erhielt, und was nicht.

Dieses Modell aus Sender, Empfänger und Gatekeeper hat sich mit dem Siegeszug des mobilen Internets grundsätzlich verändert – zu Ungunsten der Gatekeeper. Heutzutage ist jeder Mensch theoretisch in der Lage, ein Massenpublikum zu erreichen. Das Smartphone und Social Media Plattformen machen es möglich. An die Stelle von klassischen Gatekeepern sind dabei neue Meinungsführer getreten, die mit Hilfe sozialer Netzwerke zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer um sich geschart haben.

Parasoziale Nähe

Diese Influencer zeichnen sich dadurch aus, den eigenen Lifestyle und die eigene Person in den Fokus der digitalen Inszenierung zu legen. Dabei suchen sie sich gezielt Themen und bauen sich in diesem Bereich eine Marke auf. Menschen, die sich dafür interessieren, folgen ihnen. Die Influencer werden so zu Botschaftern für eine spezifische Personengruppe. Die Fokussierung auf das Persönliche erzeugt dabei den Eindruck von Nähe und füttert gleichzeitig ein Grundbedürfnis auf Seiten der Nutzerinnen und Nutzer. Denn natürlich ist es für viele Menschen reizvoll, die Einladung in das vermeintliche Privatleben von Fremden für einen Moment anzunehmen, um sich zumindest einen kurzen Eindruck davon zu verschaffen, wie andere Menschen leben.

Es verwundert daher nicht, dass Influencer im kommerziellen Bereich schon seit vielen Jahren ein wichtiger Bestandteil von Marketing-Kampagnen sind. Der geschäftliche Teil ist schnell erklärt: Der Influencer verkauft die Reichweite des eigenen Kanals für Produktplatzierungen. Die parasoziale Nähe zwischen dem Influencer und seinem/ihrem Publikum sorgt dabei für authentische Markenbotschaften in einem Umfeld, auf das institutionelle Akteure wie große Unternehmen oder Marken sonst eigentlich keinen Zugriff haben. Die Produktplatzierung im Feed eines Influencers erreicht ihr Publikum in einem Moment der Ablenkung. Menschen suchen unter anderem nach Zerstreuung, wenn sie eine Social Media App öffnen. Und diese bieten Influencer wie kaum ein anderer Akteur vor ihnen in fast jedem Themengebiet.

Die Ästhetisierung von Politik

Influencer – ob wir wollen oder nicht – prägen damit auch unsere Sehgewohnheiten. Die ästhetische Inszenierung des schönen Lebens, welche dem Geschäft erfolgreicher Influencer zu Grunde liegt, überträgt sich auf private Social-Media-Nutzung. Filter, die Herausstellung des Schönen, die Inszenierung der eigenen Person – all dies ist stilbildend für eine Form der digitalen Kommunikation, welche sich insbesondere auf Instagram großer Beliebtheit erfreut. Es ist einerseits also nur folgerichtig, dass sich Instagram auch unter Politikerinnen und Politikern einer steigenden Beliebtheit erfreut. Andererseits steckt bei der erfolgreichen Inszenierung auf Instagram – wie so oft – der Teufel im Detail.

Bevor also die Frage gestellt wird, ob Influencer für politische Kampagnen funktionieren, muss zunächst eines festgehalten werden: Politikerinnen und Politiker, die Social Media nutzen, stehen im direkten Wettbewerb mit Influencern, wenn es um die Aufmerksamkeit und Zeit der Nutzerinnen und Nutzer der jeweiligen Social-Media-Plattform geht. Über die Do‘s & Dont’s politischer Instagram-Nutzung wird später noch zu sprechen sein.

Fest steht bereits jetzt, dass Influencer die politische Kommunikation in den vergangenen Jahren stark verändert haben – die Ästhetisierung von Politik ist dabei nur ein Symptom eines grundsätzlichen Wandels: Durch Social Media verliert Politik das Element des Abstrakten. Politik wird sichtbarer, persönlicher, nahbarer. Kurzum: In einem medialen Umfeld, in dem Influencer über das Exponieren der eigenen Person Aufmerksamkeit erzeugen und mobilisieren, entwickelt sich ein digitaler Imperativ für die Politik: Die persönliche Motivation und die Vermittlung von politischer Arbeit kraft der eigenen Person rücken ins Zentrum der politischen Kommunikation.

Be smart

Über das Wahljahr 2021 hinaus bedeutet dies vor allem zwei Dinge. Digitale Kommunikation sollte erstens als zentrales Element der Wähler-Ansprache definiert werden. Zweitens gilt es, die eigenen Abgeordneten und Kandidaten zu befähigen, Social Media so zu nutzen, wie die digitale Öffentlichkeit es gewohnt ist. Die Kooperation mit reichweitenstarken Influencern kann dabei maßgeblich zur politischen Öffentlichkeitsarbeit beitragen. Gleichwohl sollten Anspruch und Wirklichkeit hierbei klar und realistisch definiert werden: Die wenigsten Influencer dürften bereit sein, ihre Reichweite für parteipolitische Zwecke zur Verfügung zu stellen. Diese rechtzeitig zu identifizieren und zu kontaktieren, ist Aufgabe der strategischen Kommunikationsplanung. Selbiges gilt für den Aufbau eigener Influencer in den Kreisen der Kandidierenden oder im parteinahen Umfeld.

In jedem Fall gilt es die Ärmel hochzukrempeln. Nichts von dem, was für eine erfolgreiche Social-Media-Arbeit und -Strategie notwendig ist, lässt sich über Nacht aufbauen. Wer schlau war, hat die Legislaturperiode genutzt und seine eigenen Abgeordneten dabei unterstützt, eigene Reichweite aufzubauen. Diese Arbeit wird Früchte tragen und Erntezeit ist auch politisch im Herbst. Allen anderen sei gesagt: Es ist nie zu spät, die Mehrheitsverhältnisse werden denkbar knapp, jeder Tag und jede Stimme zählt.

Dieser Text ist erstmalig am 30. März 2021 auf dem Kampagnen-Blog der Konrad-Adenauer-Stiftung erschienen.

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